Dienstag, 14. Mai 2013

dienstag. mit tobi

es ist dienstag. mal wieder. ein dienstag im mai. es könnte aber auch april sein. so vom wetter her. ich liege im bett. ich bin müde. ich will schlafen, muss morgen wieder früh aufstehen und doch schreibe ich das hier. worum gehts und wen interessierts? abwarten. vielleicht niemanden. aber mir tuts gut. also.

ich gehe arbeiten. in einer klinik. in einer klinik für kranke kinder. psychiatrie. klapse. irrenanstalt. nicht meine worte. ich passe auf kinder auf, spreche mit eltern, versuche kindern einen alltag, einen halt, eine perspektive zu geben. klappt nicht immer, manchmal schon. ich spiele mit kindern, ich rede mit kindern, ich bin streng, nett und lustig. die meisten mögen mich. ich mache das nicht alleine, ich habe kollegen. oft mache ich das gerne. manchmal ist das schwierig und heute geht es um tobi.

tobi ist sieben. tobi ist ganz oft ein ganz netter junge. er spielt gerne, am liebsten draußen. tobi baut sandburgen wie ein weltmeister. und hat dabei die tollsten ideen. wenn er eine sandburg baut, dann dürfen alle ihm helfen. solange er der boss bleibt. tobi ist mit leib und seele dabei. manchmal allein, manchmal mit mir, manchmal mit wem anderes. und wenn ihm alles zu viel wird, dann wirft er die schippe nach den anderen, schreit laut über den spielplatz und will am liebsten einfach nur festgehalten werden. so lange, bis alles wieder gut ist. dann will er wieder spielen.

tobi kennt das bei uns. er weiss, wie das abläuft. er weiss, was passiert, wenn er mit stühlen schmeisst. und trotzdem macht er das. fast jeden tag. tobi lebt bei seinem papa. sein papa ist schon etwas älter und muss viel arbeiten. an den meisten tagen ist papa schon vor schulbeginn aus dem haus. und erst am nachmittag sehen sich die beiden. mal für zwei stunden, vielleicht auch mal für drei stunden. aber nur, wenn papa zeit hat. papa hat viel um die ohren, tobi kennt es nicht, wie es ist, wenn sich jemand um ihn kümmert. er schaut abends fern, isst allein zu abend. tobi wäre in jeder kinder-wg der held, wenn es ums brote schmieren geht. nur tobi möchte wie jeder siebenjährige einfach mal ein ganz normales kind sein. mit erwachsenen spielen, das isses. sich darauf verlassen können, dass wer da ist, wenn er wen braucht. die erwachsenen kommen aber nur, wenn tobi laut ist. wenn tobi unsinn macht. dann, nur dann kommen sie und kümmern sich. das hat tobi gelernt. und das macht ihm sein leben so schwer. 

in der schule ist es komisch, wenn ein kind ständig schlägt und schreit und nicht lernen will. diese kinder haben dann keine freunde, weil sie immer ärger haben. niemand mag ärger. und niemand mag geärgert werden. diese kinder sind dann noch mehr allein. allein gelassen.

tobi kennt das bei uns. er weiss, dass jemand kommt, wenn er mit stühlen schmeisst. er weiss, dass ihn jemand festhält, wenn er schlägt. er weiss, dass ihn jemand hält, wenn er tritt. tobi ist nicht dumm. tobi will gehalten werden. und wehe, ich lasse ihn los. dann tritt er noch mehr nach mir. niemand soll ihn loslassen. nach einiger zeit ist alles wieder gut. dann will tobi seine hausaufgaben machen. aber nur so lange, bis ihm alles mal wieder zu viel wird. die erste klasse ist schwer. für manche kinder zu schwer. wörter lesen mag tobi gar nicht. in mathe ist er aber ganz gut. mit zahlen kennt er sich aus. er freut sich, wenn wir gemeinsam ein richtiges ergebnis rausbekommen. gemeinsam. alleine macht das keinen spaß. "ich brauche hilfe, kommst du?"

tobi lernt gerade, dass wir immer für ihn da sind. dass beziehung immer da ist. dass er nicht mit stühlen schmeissen muss, damit jemand kommt. wir sind ja schon da. die ganze zeit. auch wenn tobi lieb ist. das versteht tobi aber noch nicht so gut. er geht jeden abend wieder nach hause zu papa. und der ist nicht da. nicht immer, nur manchmal. und wenn tobi zu uns kommt am morgen, dann hat er manchmal in seiner kleidung geschlafen. zähne putzen tut er eigentlich nie. warum auch? warum muss man nochmal zähne putzen? wer erklärt mir das? und wo ist überhaupt mein schlafanzug?

wenn tobi geht, wenn er nicht mehr zu uns kommen kann, weil für jeden die zeit hier einmal endet, weiss niemand, was mit ihm passieren wird. papa wird weiter arbeiten müssen. papa wird weiter viel zu tun haben. wer weiss, ob papas freundin das alles dann noch mitmacht. die schule wird ihn nicht wollen. tobi wird wieder merken, dass niemand für ihn da ist, wenn er jemanden braucht. ich weiss, dass tobi jemanden braucht. ich habe einen großen blauen fleck an meinem bein von heute mittag und denke an tobi. und ich weiss, dass sich dieser blaue fleck gelohnt hat. gute arbeit!

vorwort. einfach so.

wer entscheidet eigentlich, was richtig ist? ist es richtig, dass alles jetzt so ist, wie es ist? ist es richtig, dass alles so passiert, wie es passiert? ist es richtig, dass ich eine entscheidung so treffe, wie ich sie treffe? und wer sagt mir, was richtig und was falsch ist? wer legt überhaupt richtigkeit fest?

wenn ich hier sitze und schreibe, fühlt sich das richtig an. warum? weil es mir jetzt und in diesem moment hilft. weil es nicht falsch sein kann seinen gedanken freien lauf zu lassen, gedanken kreisen zu lassen, gedanken auch mal zu verwerfen. treffe ich eine richtige entscheidung für mich, ist sie dann auch richtig für meinen gegenüber? menschen treffen entscheidungen. sie entscheiden sich, genau jetzt genau so zu handeln. und wenn ein mensch eine entscheidung trifft, dann hat er wenigstens eine sekunde darüber nachgedacht, sich so zu entscheiden. manchmal denken wir stunden über eine entscheidung nach, manchmal jahre, manchmal ein ganzes leben. manchmal entscheiden wir uns nie. nie für das eine, nie für das andere. wenn ein mensch eine entscheidung trifft, dann ist sie richtig. zumindest für jemanden. und meistens ist sie falsch. für jemand anderen. wenn wer sich entscheidet, muss er das bedenken und in kauf nehmen, jemanden zu verletzen. in kauf nehmen, jemandem weh zu tun. in kauf nehmen, eine falsche entscheidung getroffen zu haben. wer sich entscheidet, entscheidet für andere. wer sich entscheidet, entscheidet nicht nur für sich.

ein egoist weiss das nicht. oder er will es nicht wissen. oder er weiss es und es ist ihm scheissegal. einem egoisten sind die entscheidungen wichtig, die ihn betreffen. und er bedenkt nicht, dass er bei jeder entscheidung auch für jemand anderen entscheidet. oder gegen jemand anderen. entscheide ich mich für das leben, entscheide ich, dass andere mich ertragen dürfen, ertragen müssen. entscheide ich mich für die neue hose, entscheide ich, dass jemand anders sie nicht bekommt. entscheide ich mich für einen menschen, entscheide ich mich gegen einen anderen. entscheide ich mich gegen einen menschen, entscheide ich mich für einen anderen. einem egoisten ist das scheissegal. ist das richtig? für ihn schon. er ist sich selbst nicht egal. er achtet auf sich und beachtet andere weniger. das schützt ihn. schützt ihn vor enttäuschungen, vor zurückweisung und vor sich selbst.

sind mir andere menschen nicht egal, bedenke ich das. immer. bei jeder entscheidung. wenigstens kurz und für eine sekunde. manchmal über stunden, jahre, manchmal denke ich ein ganzes leben darüber nach. darüber, ob es richtig ist, die entscheidung zu treffen. oder falsch.

richtigkeit. kann man dieses wort benutzen, ohne über falschheit, unrichtigkeit nachzudenken? geht das nicht miteinander einher? was ist richtig, ohne falsch zu sein? ich denke an sitautionen, erlebnisse, gedanken. ich denke darüber nach, ob sie richtig sind. oder falsch. oder gar nichts? was soll richtig sein, was falsch, was gar nichts?

ist es falsch eine entscheidung zu treffen? geht es ohne sich zu entscheiden? wohl nicht. das ganze leben ist voll von entscheidungen. jeden tag. jede minute. immer.

ich entscheide mich, dass es weiter geht. dass dieser blog richtig ist. das ich für mich das richtige tue. und dass das leben voller richtiger und falscher entscheidungen ist. ich habe mich oft richtig, noch häufiger falsch und meistens nie entschieden. vielleicht entscheide ich mich noch. vielleicht für das richtige, wahrscheinlich für das falsche. aber das finde ich nur heraus, wenn ich mich entscheide. und damit fange ich jetzt an.